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Brief vom 20. August 1865 - Hoffenthal

Lieber Louis!
Deinen Brief vom 26. März v. J. habe ich richtig erhalten, woran Du meines langen Schweigens wegen wohl schon gezweifelt haben wirst; der Hauptgrund, dass ich Euch so lange habe warten lassen, ist: ich hatte Euch gern meine Photographie geschickt und hoffte immer, es würde sich einmal ein Photograph hierher verlaufen; da dies aber bis jetzt nicht geschehen ist, kann ich Euch nicht langer ohne Nachricht lassen. Ihr maßt Euch noch einmal ohne mein Portrait begnügen.
Vorerst muss ich Euch nun benachrichtigen, dass wir die letzte verflossenen 3 Jahre wegen Mangel an Regen gänzliche Missernten hatten, infolgedessen die hiesigen Bewohner sehr in Rückstand, ja viele Menschen in Not geraten sind. Ein Glück war es noch, dass nördlich von hier in nicht großer Ferne das Getreide geraten und keine große Nachfrage vom Auslande her gemacht wurde, in Folge dessen die Getreidepreise fast noch niedriger als bei guten Jahren waren. Den vergangenen Winter hatten wir sehr viel Schnee und Regen, und das war wieder ein großes Glück, denn auch diesen Sommer blieb der Regen wieder aus, und die Menschen fingen schon an zu verzweifeln; allein die Winterfeuchtigkeit verbunden mit einem kühlen Frühjahre erhielten nicht nur die Saaten und bewirkten, dass wir hier nicht nur, und zwar ganz ohne Regen, eine gute Heuernte, sondern auch eine mittelmäßige Getreideernte hatten, welche dieser Tage beendigt wird. Im vorigen Jahre fraßen das wenige Gras und Getreide, was noch gewachsen, die kleinen Heuschrecken, die in unendlicher Masse hier waren, alles weg; dieses Jahr hat die Steppmaus, ein Tier, das sein Loch auf den Feldern hauptsachlich auf Heuland und Viehweide, senkrecht von drei Zoll Durchmesser hat, in der Umgegend bei Russen und Griechen alles Getreide rein abgefressen. Dieses Tier, welches 8 Zoll lang und von vom bis hinten von gleicher Dicke von ungefähr 2 1/2 bis 3 Zoll Durchmesser ist, ist in hiesiger Gegend bei trockenen Jahren, wo sie sich schrecklich vermehren, eine ungeheure Landplage. In den deutschen Bezirken hat man diesem Übel durch das Vertilgen dieser Tiere, welches im Frühjahr durch ausgießen der Löcher mit Wasser, worauf dieselben herauskommen und totgeschlagen werden, gesteuert. Die Russen und anderen Völker hiesiger Gegend hingegen hegen das Vorurteil, das sei eine Plage und Strafe Gottes, der man nicht widerstreben darf, und lassen sie trotz Anordnung der Regierung, sie zu vertilgen, dennoch laufen. Wie so oft schon müssen dieselben für ihr Vorurteil, so auch dieses Jahr, schrecklich büßen, und Ihr werdet es unglaublich finden, wenn ich Euch sage, dass ich bei meinen vielen Reisen diesen Sommer tagelang gefahren bin, ohne eine Getreideähre auf den Feldern zu finden, wohingegen in den deutschen Bezirken kein Halm abgebissen war. Vielleicht wird die Regierung jetzt strenger einschreiten und die Russen endlich auch zur besseren Einsicht gelangen.
Nun, Ihr lieben Brüder, werde ich Euch nicht langer langweilen, denn bei vorstehender Schilderung der hiesigen Zustände werdet ihr um mich und die Meinigen besorgt werden und neugierig sein, wie es mir dabei ergangen ist; um mit Wahrheit zu sagen ist es mir gottlob noch gut ergangen, im Frühjahr 1864 handelte ich mit Milchkühen nach Charkow und der Krim. Gleich als ich nach Hause kam, bekam ich Kommission auf spanische Wolle, etwas später kaufte ich Kokons; im Winter Kalbfleisch und handelte mit Kaffee, wovon ich 70 Pud absetzte, dieses Frühjahr trieb ich wieder mit Milchkühen nach Simferopol, Bachtschyssaraj und Sewastopol; jetzt bin ich aber aus den Mariupol'schen Kolonien zurückgekommen, wo ich mich drei Wochen aufhielt und dort Kokons gekauft habe. Meine Frau hat unterdessen hier in diesen Kolonien gekauft. Im vorigen Jahr habe ich mehr verdient als irgendein Jahr vorher, dieses Jahr ist der Verdienst nicht ganz so, werde aber doch so viel verdienen, als wir verbrauchen, und so kann ich mich durchaus nicht über schlechte Zeiten beklagen.
Wie schon erwähnt, war ich dieses Frühjahr in Bachtschyssaraj, der ehemaligen Residenz der Tataren Khans und habe mir daselbst das in orientalischem Stile erbaute und noch gut erhaltene Schloss besehen (seit 80 Jahren in Händen der Russen). In Sewastopol hielt ich mich eine ganze Woche auf und hatte hinreichend Muße, die Schlachtfelder sowie auch die schreckliche Zerstörung der Stadt und Festungswerke in Augenschein zu nehmen. Auf den reichlich mit Blut getränkten Malachow-Hügeln, wo jetzt üppiges Gras wuchert, habe ich des Nachts meine Kühe weiden lassen und mehrere Nächte daselbst genächtigt. Bombensplitter, ganze Bomben und Kugeln aller Größe liegen in der ganzen Umgebung Sewastopols noch in Mengen umher, ebenso Fetzen von Montierungsstücken, Feldkessel, Feldflaschen, Tornister und Tschakos. Das französische Lager zeichnet sich besonders durch eine Masse Glasscherben von zerbrochenen Weinflaschen aus, ein Zeichen, dass dort nicht schlecht gelebt wurde.
Am 15. Mai kehrte ich nach 5-wöchiger Abwesenheit aus der Krim nach Hause zurück und drei Tage vorher, am 12. Mai, war meine Frau von einem Knaben entbunden worden. Wir haben ihm den Namen Ferdinand geben lassen. Wir haben jetzt 4 Söhne und 6 Töchter und ist soweit alles gesund, nur der Kleine, als er 8 Tage alt war, bekam mit noch 3en meiner Kinder den Keuchhusten, der aber jetzt schon am verlöschen ist. Mein ältester Sohn hat ausgelernt, war aber den Winter infolge der schlechten Zeit wegen Mangel an Arbeit zuhause, nächstes Jahr soll er nach Deutschland reisen, meine 2te Tochter wurde dieses Frühjahr konfirmiert. Wenn ich nicht irre, bist sowohl Du, lieber Louis, als auch der Bruder Karl im Besitze eines Gartens, ich übermache Euch inliegend etwas Maulbeersamen, den Ihr diesen Herbst noch säen könnt, in einigen Jahren, könnt Ihr Maulbeerbäumchen haben, und ich werde Euch dann, wenn wir noch am Leben sind, etwas Seideneier schicken. Dann könnt Ihr Versuche mit Seidenbau machen. Von Euch hingegen erbitte ich mir einige Körner Samen von Marferum (?) und von "Rühr mich nicht an", wenn solches nämlich Samen treibt. Beide Topfpflanzen hat man hier nicht.
Im Oktober v. J. erhielt ich auch wieder einen Brief von Bernhard nebst Photographie, das ich nun auch erst mit dem Deinigen beantworte.
Jetzt glaube ich alles von Bedeutung Euch mitgeteilt zu haben und wünsche nur noch, dass Ihr Euch insgesamt recht wohl befindet und gesund seid und bitte Euch, mir recht bald wieder zu schreiben.
Unter vielen herzlichen Grüßen an Euch alle von mir und den Meinigen verbleibe ich Euer Euch liebender Bruder und Schwager
Franz Huth
Ns. (Bem. der Red.: Nachsatz oder Nachschrift) Ich weiß nicht, ob ich Euch in meinem letzten Briefe in Kenntnis gesetzt habe, dass ich meinen Wohnsitz in Durlach mit einem zum Handel besser geeigneten in der Kolonie Hoffenthal vertauscht habe. Meine Adresse bleibt dieselbe; nur statt Durlach ist Hoffenthal zu schreiben. v. Obigem
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