Beitragsseiten

Brief vom 26. Dezember a. St 1872 - Hoffenthal

Erste Seite fast gar nicht leserlich
Vielgeliebte Geschwister!
Wenn ich Euch von meinem Befinden nicht länger in Ungewissheit lassen will, muss ich nochmals die Feder ergreifen und Euch brieflich Nachricht von mir geben, denn (unleserliche Worte) Euch einen Besuch abzustatten. (weitere unleserliche Passage), dass 10. August in Prischib ist nur getrennt durch die Amtsverwaltung, denn jede Kolonie hat ihren ()
Ein leichter Luftzug aus Nordost trieb das Feuer gerade auf Hoffenthal zu. () halben Stunde stand der siebente Teil von Prischib in Flammen (). An Rettung war nicht zu denken. () nur übermenschliche Anstrengungen () diese letzten Hauser nach Hoffenthal () von Handwerkern bewohnt sind () nicht ganz Hoffenthal mit abbrannte.
Zwei Tage später, ebenfalls 9 Uhr abends, brach in Neu-Monthal, 12 Wersten von hier, Feuer aus und brannte damals die halbe Kolonie und 10 Tage später die übrige Hälfte ab. Nach dem ersten Neu-Monthaler Brand beeilte ich mich, meine Kokons nach Berdjansk abzuliefern und fuhr Tag und Nacht, um nur bald wieder zu Hause zu sein. Am 18. August kehrte ich zurück; abends neun Uhr, als ich mich ermüdet vom Fahren Schlafenlegen wollte, standen meines Nachbars Getreideschöber und gleich darauf dessen Gebäude in Flammen. Ich bewohnte nämlich damals noch das Haus, welches ich seit Jahren in Pacht hatte. Ich hatte beim Kontorschließen meines gekauften Hauses meinem Verkäufer gestattet, noch bis zum 1. August in demselben zu wohnen. Da dessen neues Haus bis dahin noch nicht ganz fertig war, hatte ich ihm noch einen Monat Frist gegeben. Mein Heu und Stroh hatte ich schon auf meinen Hof fahren lassen, und so verbrannten mir nur der Schweinestall und Kirbitsch (in Ziegelform getrockneter Mist zum Brennen). Das Wohnhaus und Stall wurden dank gänzlicher Windstille und vieler und schneller Hilfe gerettet; aber dennoch hatte ich mit dem Schaden, den ich durch Ausräumen erlitt, wo mir in der Eile viel an Möbel und Geschirr zerschlagen wurde, über 100 Rubel Schaden. Vier Tage später brach bei dem einen Nachbar meines gekauften Hauses morgens gegen Tagesanbruch wieder Feuer auf dessen Dreschdiele aus, und in Zeit von zwei Stunden standen auf drei Höfen nur noch meine Gebäude. Meine beiden Nachbarn verloren alles, ich nur Heu, Stroh und einen Teil meiner Umzäunung; von nun an verging fast kein Tag, wo es nicht in der einen oder der anderen Kolonie brannte. An einem Tage brannte es sogar in fünf Kolonien, wo Friedrichsfeld, eine Kolonie von wenigstens 100 Häuser, ganz abbrannte. Das Feueranlegen schien zur Manie geworden zu sein, und trotz aller aufgestellten Wachen bei Tag und Nacht, zu Fuß und zu reiten, und trotz dabei jeder Hausbesitzer außerdem die ganze Nacht auf seinem Hofe wachen musste, wurde nur ein Russenknecht beim Anlegen erwischt. Die Hälfte der Brände mögen auch wohl durch Leichtsinn, durch verlorene Schwefelhölzer und dgl. entstanden sein, denn bei der außergewöhnlichen Dürre und dem vielen Brennstoff bedurfte es wenig, einen solchen Brand entstehen zu lassen. Wir verlebten damals eine schreckliche Zeit, und die Pariser konnten zur Zeit der Kommuneherrschaft nicht mehr Angst ausgestanden haben als wir. Kleider, Wäsche und den Tag über die Betten waren in Bündel gepackt, die Wagen standen immer bereit vor der Tür, und die Pferde im Stall blieben aufgeschirrt, um gleich Reißaus zu nehmen.
Die Bauern hatten in der Ernte 4 bis 5 Rubel und beim Dreschen bis 2 Rubel Tagelohn zu zahlen. Jetzt mussten sie Tag und Nacht wachen. Dann musste die nächste Mannschaft zu den Spritzen und Wasserwagen mit aufgeschirrten Pferden bereitstehen. Unter allen diesen Umständen bemächtigte sich den hiesigen Deutschen eine Mutlosigkeit, die ich noch niemals sonst wahrgenommen habe. Der Brandschaden ist nicht zu berechnen. Für etwa eine halbe Million war versichert, da aber die Kolonien die Assekuranz unter sich haben, so wurden die nicht Abgebrannten durch Zahlung nicht unwesentlich geschädigt, die Hälfte der reichen Ernte verbrannte, die andere Hälfte ging zur Deckung des Schadens drauf. Dass mein Reiseplan nun wieder auf ein Jahr hinausgeschoben wurde, wird Euch nicht wundern; allein diesen Sommer schon brach in benachbarten Russendörfern die Cholera aus und grassierte bis spät in den Herbst hinein, wo sie unter den Russen erschrecklich aufgeräumt. So starben eine Meile von hier in Groß-Tockmak über 800 Personen, in Groß-Bilisivo sogar über 2000 Personen. In den Kolonien trat sie nur vereinzelt auf und starben im Ganzen gegen 30 Personen, wovon auf Prischib allein 10 Personen kommen. Unter diesen Umständen konnte ich mich wieder nicht entschließen, mich von meiner Familie zu trennen, aber Krieg, Feuer und Cholera werden doch nicht immer existieren, und so wollen wir hoffen, dass der nächste Herbst nicht ein neues Unglück bringt. Seit einigen Sommern existiert hier unter den Schweinen eine Art Pest, woran ich diesen Herbst auch 4 Stück verlor. Gegenwärtig ist hier weit und breit die Rinderpest, und zwar so heftig, dass nur ein bis drei Prozent durchmachen, mehr als Dreiviertel des Rindviehs ist auch in Hoffenthal schon gefallen. Bei mir und in noch acht Ställen ist das Vieh noch gesund, wird aber wohl auch nicht verschont bleiben.
Ich und meine Familie sind diese Jahre her recht gesund gewesen, aber mein Hauptgeschäft, der Kokonhandel, ging die letzten zwei Jahre schlecht; die Seidenwürmer sind nicht gediehen. Ich musste deshalb viel zusetzen. Die Ausgaben überstiegen weit die Einnahme. Dazu habe ich noch gegen 800 Rubel verbaut. Ich habe eine Wagenremise angebaut, neu gedeckt und feuerfeste, gemauerte Giebel machen lassen. Von außen ist mein Haus ganz gegen Feuer gesichert. Deshalb habe ich mich auch aus der Assekuranz streichen lassen.
Um nicht zurückzukommen, wenn der Kokonhandel nicht geht, so habe ich mir außer meinem Handel mit Kaffee, Zucker, Licht, Seife und dgl. noch einen Weinhandel angelegt und diesen Herbst bereits 10 Fass Wein gekauft. Ich habe in meinem Hause einen ausgezeichnet guten Weinkeller.
Im Frühjahr erhielt ich einen Brief von der Agnes. Da ich nun bis zum Herbst reisen wollte, habe ich ihr ihn gar nicht beantwortet. Wenn ihr Gelegenheit habt, setzt sie davon in Kenntnis. Wenn ich komme, bringe ich meinen Sohn Otto mit, derselbe ist militärpflichtig und soll, um sein Heimatsrecht zu erlangen, dienen. Mein ältester Sohn Robert ist hier verheiratet. Auch ich werde draußen Schwierigkeiten bekommen. Nach den deutschen Reichsgesetzen hat derjenige, der länger als 10 Jahre im Auslande verlebt, ohne Nationalpass gewechselt zu haben, sein Heimatsrecht verloren.
Im Frühjahr, wenn der Dnjepr wieder eisfrei ist, werde ich nach Odessa fahren und mit dem Generalkonsul darüber sprechen. Sollte wohl nicht wer von Euch nach Wien zur Ausstellung kommen? Von Wien nach Odessa und von da auf dem Dnjepr bis Nivopol ist es nicht weit. Von Nivopol hierher sind nur 100 Wersten; wenn ich von Odessa aus telegraphisch benachrichtigt würde, käme ich mit meinem Fuhrwerk dorthin abzuholen. Meine telegraphische Adresse ist: Melitopol, Estafette Halbstadt, Franz Huth in Hoffenthal. Neuigkeiten weiß ich Euch sonst nicht weiter zu schreiben. Ich bitte Euch nur, mir recht bald und recht viel Erfreuliches von Euch zu schreiben' und schließe unter vielen herzlichen Grüßen an Euch und Eure lieben Familien von mir, meiner Frau und sämtlichen Kindern und verbleibe Euer Euch stets liebender
Franz Huth