Hochstädt
Vom Hauptort Molotschna 12 Werst westlich, 24 Werst von der Kreisstadt Melitopol, 308 Werst von der Gouvernementsstadt Simferolol und 140 Werst von Jekaterinoslaw entfernt, wurde diese Kolonie im Jahre 1810 in der kleinen Jedekorin gegründet, die hier eine mehrere hundert Dessjatinen umfassende seichte Fläche bildet und keinen Ausfluß hat.
Die Ansiedler dieser Kolonie hatten sich teils schon auf der Reise, hauptsächlich aber in Winterquartier 1809 miteinander befreundet, wählten unter ihrem Anführer und Schulzen Jakob Gugenheimer diesen Ort zu ihrer Ansiedlung und nannten ihn aus Gefälligkeit gegen dein letzteren nach dessen Geburtsort Hochstätten am Rhein Hochstädt. Die 39 Ansiedlerfamilien stammten größtenteils aus Baden-Durlach, einige aus der Gegend Stuttgarts, einige aus der Rheinpfalz und waren sämtlich evangelischer Konfession. Sie erhielten außer der gewöhnlichen Unterstützung im Jahre 1813 für die Unbemittelten noch je 3 Pflüge und ein paar Ochsen aus der Ansiedlungskasse. Eigene Mittel waren nur bei wenigen im Gesamtwert von etwa 500 Thalern Rheinisch vorhanden; 3/5 waren ohne Mittel angekommen.
Die Absteckung der Kolonie geschah durch den Feldmesser August Haussteck. Sie liegt in einer geraden Linie von Ost nach West und hat zwei Häuserreihen. Die ersten Wohnungen waren eilig angefertigte, mit Erde bedeckte Keller, welche Semljanken genannt wurden. Bei einigen vergingen 2 bis 3 Jahre, bevor sie ihre Hamsterwohnungen zu verlassen im Stande waren, weil sie sich mit dem Häuserbau nicht gerade beeilten. Deshalb mußte zu diesem Endzweck mitunter polizeiliche Strenge eintreten.
Die Folge hat gelehrt, daß Hochstädt seine Dorflage schlecht gewählt hat, weil bei schnellem Abgang des Schnees und bei starkem Gewitterregen einige Werst in der Runde das Wasser gegen die Kolonie anläuft, was bis jetzt durch Gräben und Dämme nie gänzlich verhindert werden konnte.
Die Länderei bildet ein langes Viereck nach Westen hin, welches etwa 3 Werst von der Kolonie entfernt, von dem Steppenfluß Groß-Jedekorin in südlicher Richtung von Friedrichsfeld kommend, der Breite nach durchschnitten wird. Hier befindet sich eine Viehtränke. Weiterhin im Westen grenzt das Land an dasjenige des Kronsdorfes Michailowka an.
Die oberste Erdschicht besteht aus einer 1 bis 15 Arschin schwarzen Gartenerde, auf welcher alle Gattungen Getreide und Gartengewächse gedeihen. Im Getreidebau stand Hochstädt im ersten Jahrzehnt in Bezug auf die Menge der Aussaat hinter mehreren Kolonien zurück, befleißigte sich jedoch, soweit es die damaligen unvollkommenen Ackergeräte erlaubten, einer guten Bearbeitung des Landes. Die Unterlage des Bodens ist ein 12 Fuß tiefer gelber Lehm, welcher nach 6 Fuß Tiefe eine weiße Farbe annimmt.
Ganz unten ist lettenartiges Flußlager. Das Wasser ist durchschnittlich süß und wohl das beste aller sogenannten Steppendörfer. Die Baumzucht ist trotz aller Ermahnungen und Befehle seitens der Obrigkeit mehr als zwei Jahrzehnte lang in unbegreiflicher Weise vernachlässigt worden. Erst gegen Ende des Jahrzehnts pflanzten einige Wirte wohl aus Liebhaberei hinter den Wirtschaftsgebäuden je eine halbe Dessjatine mit Obstbäumen an. Der Erfolg hat bewiesen, daß Hochstädt eine der vorzüglichsten Lagen für Baumanpflanzung hat. Die seit 15-18 Jahren gepflanzten Bäume verraten eine Gesundheit, wie sie in diesem Bezirk als Ausnahme betrachtet werden muß und nur in der Kolonie Molotchna übertroffen wird. Die im Jahre 1845 auf dem östlichen Ende, angepflanzte unmittelbar an die Kolonie sich anschließende, auf beiden Seiten des nach Michailowka führenden Weges befindliche Waldanpflanzung weist bis jetzt blos Maulbeerbäume auf, gewährt aber einen hoffnungsvollen Anblick, der den Uneingeweihten kaum glauben läßt, daß das erst ein zweijähriges Kind sei. Sonderbar genug: es waren gerade die Maulbeerbäume, welche die Ansiedler so zu sagen, auf der «Muck» hatten, und nicht nur hier, sondern allgemein von denselben behaupteten, daß sie die undankbarsten im Wachstum seien.
Bei der zweiten Vermessung der Ländereien des Molotschnaer Kolonistenbezirks in den Jahren 1820 bis 1822 war die Gemeinde Hochstädt in Verbindung mit Reichenfeld und Friedensfeld darauf bedacht, von der Oberkolonialbehörde für eine in Zukunft zu errichtende Kirchspiels abgeteilt, worauf die Gemeinde bald bei dem damaligen Superintendenten Böttiger mit der Bitte um einen Geistlichen einkam. Im Jahre 1825 kam der Pastor Föll als provisorischer Prediger an die Stelle, folgte aber bald dem Ruf als Pastor in die Kolonien des Mariupoler Bezirks, worauf im Jahre 1826 Prediger Steinmann an die Stelle rückte.
Im Jahre 1827 entschlossen sich die drei Kolonien am westlichen Ende der Kolonie Hochstädt aus eigenen Mitteln eine Pfarrerwohnung mit 85 Faden Front und 4 Faden Breite zu erbauen und darin zugleich einen größeren Saal für den Konfirmandenunterricht provisorisch einzurichten. Als Pastor Steinmann im Jahre 1828 dem Ruf als Pastor nach Josefstal folgte, war das junge Kirchspiel wieder vakant bis im Jahre 1831 Herr Pastor Föll zum zweiten Mal herkam und nun seit 17 Jahren ununterbrochen in der Eigenschaft eines Propstes des 2. Propstbezirks im südlichen Rußland, ja gegenwärtig als Konsistorialrat eine gesegnete Wirksamkeit zum Wohl der Kirche und der Schulen seiner Gemeinden entfaltet. Die Wirkungen eines so lange mit gleichem Eifer und beharrlicher Ausdauer geführten Amtes lassen sich an dem sittlichen Charakter der Eingepfarrten erkennen. Der bei dem Pastorat und der Kirche angepflanzte im Wachstum stehende Baumgarten hat sein Dasein ebenfalls ganz allein der Fürsorge des Konsistorialrat Föll zu verdanken.
Obgleich die Teilung der Kirchspiele bereits im Jahre 1826 vom Superintendenten Böttiger angeordnet und vom Minister des Innern bestätigt worden war, so währte es in Folge von Intriguen doch bis zum Jahre 1831, bis durch einen Machtspruch der höheren Obrigkeit die Teilung auf der Basis der Seelenzahl endgiltig vollzogen und allen starrsinnigen Umtrieben ein Ende gemacht wurde. So wurde Molotschna das erste und Hochstädt das zweite lutherische Kirchspiel im Molotschnaer Kolonistenbezirk genannt. Durch den Zuwachs von 6 Kolonien war die Kirchengemeinde insoweit erstarkt, daß sie im Jahre 1832 ein geräumiges Bethaus von 115 Faden und 5 Faden Breite aus Feldsteinen auf dem Pfarrhofe, 80 Faden südlich von der Wohnung des Pastors erbauen konnte. Auch sind in neuerer Zeit auf de östlichen Seite des Pastorats ein Kantorhaus von gebrannten Ziegeln mit Pfannenbedachung 7 Faden lang und 45 Arschin breit, sowie die ökonomischen Nebengebäude für das Pastorat von demselben Material zweckmäßig erbaut.
Durch das alles ist die im Jahre 1820 verbreitet gewesene Ansicht, als befänden sich die evangelischen Christen an der Molotschna in einer erbarmungswürdigen, dem Heidentum ähnlichen Zustande widerlegt. Die Namen Adam Gräber, Michael Man und Peter Schmidt aus Reichenfeld, Michael Gugenheimer und Georg Hering aus Hochstädt, Philipp Kammerloch und Andreas Benke aus Friedrichsfeld, die sich mit besonderer Aufopferung für Errichtung dieses Kirchspiels bemüht und sich auch sonst von wohltätigem Einfluß auf die Ansiedler erwiesen haben, verdienen dankbar genannt zu werden.
Die Rindviehpest hat im Laufe der Zeit und zum letzten Mal 1845 viermal durchschnittlich 5 der Gesamptzahl hinweggerafft. Im Jahr 1824 hat die Pockenepidemie die Hälfte der Schafe zum Opfer genommen. Scharlach und Masern haben beim Ablauf des Jahres 1847 2/5 der Jugend im Alter von 1 bis 7 Jahren dahingerafft.
An öffentlichen Bauten ist vorhanden:
- ein Schulhaus geräumig von Luftziegeln gebaut mit Lehrerwohnung. Eine Glocke mahnt die Einwohner morgens, mittags und abends zum Gebet, an Sonn- und Feiertagen zum Gottesdienstbesuch, ladet täglich die Jugend zur Schule und zeigt das Ableben eines Mitpilgers an.
- ein Magazin von Holz erbaut zur Aufbewahrung von Getreidevorräten für schlechte Zeiten.
- eine Krambude, deren Eigentümer ein armenischer Krämer aus Nachitschewan ist.
- zwei Windmühlen.
- 3 Schmiede, 1 Wagner, 2 Tischler, 3 Schuster und 1 Schneider finden lohnende Beschäftigung.
Von gebrannten Ziegeln sind bis 4 Privathäuser aufgeführt und 5 im Bau begriffen.Die Kolonie besteht gegenwärtig aus 39 Wirtschaften und 11 Freihäusern von Handwerkern bewohnt. Die Gemeinde besteht aus 81 Familien mit 433 Seelen; 234 mehr als bei der Einwanderung.
Schulz Schneider.
Beisitzer Hoffmann.