Josefstal
Als neue Ankömmlinge hatten sie natürlich die Eigenschaft und Lage jenes Landes nicht zu beurteilen verstanden. Darauf wurden sie hierher geschickt, wo es ihnen besser gefiel und wo auf Befehl des Staatsrats Kochowsky auch die Kolonie angelegt wurde. Zum Bau von Häusern wurde nicht sogleich geschritten. Da früher hier eine Ansiedlung von Griechen und Armeniern existiert hatte, wegen häufiger Überschwemmungen aber verlassen worden war, so wurden die zurückgelassenen, bei der spärlichen Bevölkerung nicht zum Verkauf gelangten Häuser als Wohnungen benutzt. Erst im Jahre 1796 wurde durch die Gouvernementsregierung den Kolonisten der Befehl erteilt, Häuser zu bauen, da das Holz dazu schon 1792 gekauft worden war.
Die Kolonie liegt an der rechten Seite des Samarflusses, welcher sich hier mit dem kleinen Fluß Kiltschin vereinigt, die Wiesen der Kolonie durchzieht und unweit des der Kolonie Josefstal und Rybalsk gehörigen Igrener Holzhafens in den Dnjepr mündet. Das Land dieser Kolonie liegt in einer von einer Seite durch Sandhügel umzogenen Niederung und ist 15 Werst von Jekaterinoslaw und 12 Werst von der Kreisstadt Nowomoskowsk entfernt.
Das teils aus salzhaltigem Ton und Sand, teils aus Humuserde mit einer Unterlage von Ton und Salpeter bestehende Land ist nicht besonders zum Ackerbau geeignet.
Das beste Mittel, diese verschiedenen Erdarten für das Gedeihen der Frucht ergiebig zu machen, ist der Dung, welcher seit mehreren Jahren mit gutem Erfolg angewendet wird. Um das bei den Sandhügeln gelegene Land vor Flugsand zu schützen, hat die Obrigkeit die Anpflanzung von Sträuchern vorgeschrieben. Der größere Teil der Wiesen steht gewöhnlich bis Anfang Juni unter Wasser und liefert dann nur Schilf, Binsen und Farnkräuter. Das Wachsen des Getreides und der Gartenprodukte geht im Frühling bei warmer, nasser Witterung rasch voran.
Wenn aber die Hitze kommt, so trocknet der Boden vollständig aus, und das Wachstum steht still. In nassen Jahren gibt es auf den gedüngten Feldern gute Ernten an Getreide und Gemüse. Außer Strauch und Weiden besitzt die Kolonie etwa 30 Dessjatinen Naturwaldung.
Aus Erkenntlichkeit für das entgegengebrachte Wohlwollen seitens des Wirklichen Staatsrates Josef Kochowsky gaben die Kolonisten ihrem Dorfe den Namen Josefstal und wollten ihm damit ein bleibendes Denkmal setzen.
Von den 100 aus der Stadt Danzig und Umgebung ausgewanderten Familien kamen nur 90 an Ort und Stelle an, zehn Familien waren auf der Reise und im Winterquartier ausgestorben und auch die übrigen in ihrer Gliederzahl stark gelichtet. Diese Familien bildeten die beiden Kolonien Josefstal und Rybalsk. Im Jahre 1801 kamen 22 württembergische Familien, die aber schon eine Zeit lang in Polen gewohnt hatten, hier an, von welchen 17 in Rybalsk und 5 in Josefstal auf leeren Stellen angesiedelt wurden. Die Kolonie Josefstal besteht jetzt aus 54 landbesitzenden Wirten.
Die ersten Ansiedler kamen unter einer besonderen Abteilung im Jahre 1788 gemeinschaftlich mit den Mennoniten aus der Danziger Gegend nach Rußland; sie hatten außer ihren aus ihrer Mitte erwählten Aufsehern keine eigentlichen Anführer.
Infolge einer im Jahre 1788 erfolgten großen Überschwemmung verließen die hier wohnenden Griechen und Armenier ihren Moskowsk oder auch Bogorodiza genannten Ort für immer. Daher fanden die Deutschen hier einige wenige verfallene Häuser vor, die sie sich notdürftig zur Wohnung einrichteten und siedelten sich allmählich an einer etwas höher gelegenen Stelle in der Nähe an. Eines der vorgefundenen Häuser war in einem besseren Zustande und wurde später durch Reparatur zum Inspektionsgebäude eingerichtet. Es stand bis zum Jahre 1832.
Außer den täglichen Nahrungsgeldern vom Auslande nach Rußland und von der Krone erbauten Häusern haben die ersten Ansiedler noch 250 Rbl. Als Unterstützung für jede Familie erhalten. Die später angelangten Württemberger haben die Unterstützung nur als Vorschuß erhalten und nach einer für sie festgesetzten Frist zurückzahlen müssen. Das aus dem Ausland mitgebrachte Vermögen bestand bei den meisten wohl nur in einer Kiste Kleidungsstücken, denn sie hatten als Tagelöhner und arme Handwerker in ihrem Vaterland mit Not und Armut zu kämpfen gehabt. Wer auf der Reise noch etwas besaß, mußte seinen Mitbrüdern in den vielen Fällen der Krankheit, Tod und Begräbnis und anderen mit der Reise verbundenen widrigen Umständen Hilfe leisten, so daß er schließlich eben so arm in's Land kam, wie die anderen.
Durch Feuersbrünste hat die Kolonie wenig gelitten, um so mehr aber durch Überschwemmungen. Im Jahre 1820 überschwemmte der Fluß Samar die Getreidefelder und Gärten, zum Teil auch die Wohnhäuser, im Jahr 1824 wieder die Getreidefelder. Die Überschwemmung der Wiesen wiederholte sich mit wenigen Ausnahmen jährlich und ist von so langer Dauer, daß später nicht mehr ordentliches Futter wächst. Das drückendste Jahr der Überschwemmung war das Jahr 1845, wo das Dorf und das Ackerfeld einem See glich und das Wasser mit einer Schnelligkeit stieg, daß die Bewohner sich auf den Hügeln fremder Marken, auf den Sandbergen des eigenen Landes und in der nächsten Kolonie Rybalsk bergen mußten. Der erlittene Schaden war groß, doch ist durch Gottes Gnade kein Mensch dabei zu Grunde gegangen. Die Ursache dieser Überschwemmungen ist darin zu suchen, daß bei eintretendem hohen Wasserstand der Dnjepr aus seinem Bett tritt und gegen die Samar anfließt wodurch das Wasser in die ungeschützte Ebene des Kolonielandes getrieben wird.
Epidemische Krankheiten haben in dieser Kolonie nie geherrscht. Mißernten waren 1820, 1824, 1833 und 1834.
Da die Kolonisten von Haus aus vom Ackerbau nichts verstanden, so hatten sie am Anfang keinen leichten Stand. Dennoch gab sich alt und jung die größte Mühe, um in der Kultur des Acker- und Gemüsebaues mit den anderen Ansiedlern gleichen Schritt zu halten. In dem hochseligen Herrn Wirklichen Staatsrat Kontenius fanden sie einen zuverlässigen Ratgeber. Er sann auf Mittel, um den Wohlstand der Kolonie zu heben und ihre Zukunft zu sichern. Es wurden von ihm Gartensämereien für die Kolonisten angekauft, deren Gewächse in der nahen Gouvernementsstadt Jekaterinoslaw guten Absatz fanden und das Einkommen der Kolonie steigerte. Auch die Einführung und Verfeinerung der spanischen Schafe ist ihm zuzuschreiben. Als die Kolonie in eine schwierige Lage versetzt war durch das Überhandnehmen des Flugsandes, wodurch ein Teil der Viehweide auf den erwähnten Sandbergen ganz unbrauchbar wurde, so gab unsere jetzige Obrigkeit die Erlaubnis, aus den Gemeindeeinkünften bei dem Gutsbesitzer Klewzow Land zu pachten, und wenn die Gemeinde auch später 3000 Rubel banko Landpacht zu zahlen hatte, so war doch der erzielte Gewinn stets ein solcher, daß sie in wirtschaftlicher Hinsicht stets gefördert wurde.
Beisitzer: Johann Jantzen, Christian Göbel.
(Verfasser) Schullehrer: Johann Schreitel.