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Brief von 1863 - vielleicht Januar - Durlach

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Lieber Bruder Karl!
Es werden nun schon bald zwei Jahre, dass ich Deinen Brief vom 6. Dezember 1860, den ich am 31. Januar 1861 erhielt. Ungefähr 14 Tage später erhielt ich einen Brief vom Schwager Wagner, datiert den 27. März 1861. (nicht leserlich) wurde es Ostern, ehe ich an das Beantworten Eurer Briefe kam. ich fasste die Antwort zusammen in einen Brief und adressierte ihn an Wilhelm Wagner, er machte mich mit seinem Vorhaben, hierher zu ziehen, bekannt; ich freute mich schon königlich, doch eines meiner Geschwister um mich zu bekommen. (nicht leserlich) Kosten hierher zu machen, denn dadurch gebunden, bleibt selten eine Täuschung aus; (nicht leserlich) erbot ich mich, wenn er erst hier wäre, für ein Unterkommen für (nicht leserlich) und bis sie den Unterhalt; ich setzte Kartoffeln und Bohnen in ausreichender Menge für ihn aus, kaufte Roggen für zwei Familien, Weizen (nicht leserlich) (ungefähr zehn Scheffel) und mästete fünf tüchtige Schweine, alles dahin berechnet, (nicht leserlich) spät eintreffen sollte, dass an nichts mangeln sollte. Ich bat in meinem Schreiben, mich jedenfalls gleich wieder zu benachrichtigen. Da aber jede Nachricht ausblieb, so glaubte ich, Ihr würdet mir eine Überraschung bereiten wollen. Und meine liebe Schwester Agnes würde eines Tages mit ihrem Mann und Kindern unverhofft auf meinen Hof fahren; allein ich hoffte vergebens. Es kam niemand. Im Winter 61 auf 62 erwartete ich ein Schreiben, aber wieder vergebens, nun glaubte ich, Umstände hätten die Reise bis zum Sommer 1862 verzögert und wartete wieder, aber auch vergebens. Nun kann ich nicht länger warten, ich muss Nachricht haben, wie es bei Euch steht und geht, es ist nun, solange ich in Russland bin, das weitere Mal, dass ich zweimal schreiben muss, ehe ich einmal Antwort von Euch erhalte. In Deinem letzten Briefe, gabst Du, lieber Bruder, mir Dein Wort, mich nicht lange auf Antwort warten zu lassen. Und nun beinahe zwei Jahre. Ich meine, das ist mehr als lange, wie soll ich das deuten? Wenn Du mich noch nicht ganz vergessen hast, so bitte ich Dich, schreibe mir unverzüglich; von Ostern an werde ich täglich auf einen Brief von Dir spannen.
Nun auch etwas über meine Familienangelegenheiten:
Du wolltest wissen, ob mein ältester Sohn Landwirt werden würde. Ich hatte es im Sinne, gab aber seiner Neigung nach und gab ihn zu einem Tischler in die Lehre; im Herbst des nächsten Jahres hat er ausgelernt; meine älteste Tochter kommt dieses Frühjahr aus der Schule, im Ganzen habe ich acht Kinder. Das neunte steht bis Frühjahr in Aussicht. Das hiesige raue Steppenklima muss in mancher Hinsicht doch fruchtbarer sein als Euer mildes sächsisches. Im vorigen Sommer hatten wir hier eine totale Missernte. Glücklicherweise hatte ich gar nichts ausgesät, und noch glücklicher war ich, dass ich meinen Weizen von vor zwei Jahren noch habe und auch noch Futtervorrat für Pferde und Kühe für diesen Winter besitze. Auch der Roggen, der für Wagners bestimmt war, kommt mir jetzt zu Gute.
Ganzen ist jetzt hier eine schlechte Zeit, aller Handel liegt danieder. Geldmangel ist ungeheuer, in der Kriegszeit war hier alles noch viel teurer als jetzt, aber es rollte Geld in Menge und war vieles zu verdienen, Schade nur, dass ich erst nach Beendigung des Krieges meinen Schuldienst aufgab, die zwei Kriegsjahre hätte ich mit freien Händen mir ein schönes Sümmchen erwerben können.
Vergangenes Frühjahr war ich in der Krim, ich hatte nämlich mit einem guten Freunde zusammen in den hiesigen Kolonien etliche 50 Stück Milchkühe und 2 schöne Hengste gekauft, dieselben nach der Krim gebracht und in Simferopol verkauft, wobei wir ein schönes Stück Geld verdienten. Das war aber auch zu sagen mein ganzer Verdienst im vorigen Jahr und bis jetzt, und obgleich ich weder Futter noch Brot kaufen muss, so kostet meine große Familie, zu welcher sich noch mein Schwiegervater zählt, doch so viel, dass es jetzt heißt - zusetzen. Ein gute Ernte und ein bisschen Aufschwung im Handel ändere jedoch auch wieder die Zeiten. Viele Ausländer, namentlich Preußen, haben sich in hiesiger Gegend bei Edelleuten angesiedelt; durch Aufhebung der Leibeigenschaft veranlasst, vergeben viele Edelleute Land an Deutsche auf gewisse Jahre, die Dessjatina (ungefähr zwei Acker) zu 1 Rubel Silber pro Jahr, einige sogar geben noch Baumaterial zum Aufbau von Gebäuden und schießen Brot und Saat vor, dadurch ist auch Unbemittelten eine Gelegenheit geboten, sich eine Existenz zu gründen, freilich dürfen fürs Erste nicht viele solcher Missernten, wie die letzte, folgen. Sonst werden diese Leute noch das Wenige los, was sie noch haben.
Dass sich die Friederike und der Bernhard gut gebettet haben, freut mich sehr, umso mehr bedrückt es mich aber, dass der Robert ein solch lockeres Leben führt und dadurch seine Familie darben lasst und dass die Emma so unglücklich ist; wenn hier wieder bessere Zeiten eintreten, werde ich schon ihnen auch ein Scherflein (Bem. der Red.: Redewendung, die auf Martin Luthers Bibelübersetzung zurückgeht (Mk 12,42 LUT): „sein Scherflein zu etwas beitragen“) zur Linderung ihres Elends beitragen. Dass ich mich noch einer liebevollen Teilnahme alter Bekannter in der Heimat zu erfreuen habe, macht mir viel Vergnügen, und ich bitte Dich, lieber Bruder, alle diese Freunde und Bekannte, die Teilnahme bekunden, vielmals zu grüßen und ihnen zu sagen, dass sie mir durch ihre Teilnahme viel Freude machen.
Wenn Du mir wieder schreibst, soll doch der Louis ein Lebenszeichen von sich geben und einige Wörter beifügen, so viel Zeit dazu wird er wohl erübrigen können; sein liebes Röschen wird jetzt wohl schon eine stattliche Matrone geworden sein, ich würde sie vielleicht kaum mehr kennen, wenn ich sie wiedersehen würde.
Wenn Du an den Bernhard schreibst, grüße ihn und seine Frau von mir und ich lasse ihn ersuchen, dass er mir schreibt und seine Adresse schickt. Auch meinen neuen Schwager in Zeulenroda, dessen Namen ich aber noch nicht kenne, und die Friederike vergesst nicht von mir zu grüßen; insbesondere aber gib mir doch ausführlich Bericht, weshalb Wagners ihr Projekt aufgegeben. Haben sie vielleicht in der Heimat eine annehmbare Stellung gefunden, die ihnen ein Auskommen sichert, oder war es ihnen nicht möglich, die Reise hierher auf eigene Kosten zu machen? In beiden Fällen hättet Ihr mir doch aber Nachricht geben sollen. Ehe ich nun schließe, muss ich noch erwähnen, dass die Winter vor zwei Jahren und im vorigen Jahre hier sehr stark waren. Bei großer Kalte hatten wir die zwei Jahre, was hier selten ist, viel Schnee. Im vorigen Sommer hatten wir ein einziges Mal Regen, daher die Missernte an Getreide und Futter, sogar die Weide war so schlecht, dass man den Sommer über das Vieh abends füttern mussten Diesen Winter haben wir einige Tage 20 Grad Kälte gehabt und sind einige Wochen Schlitten gefahren, jetzt ist aber der Schnee wieder weg und Tauwetter.
Seit ich meinen Schuldienst aufgegeben, bin ich gesund wie ein Fisch im Wasser, ebenso die Meinigen.
Nun muss ich schließen, bitte dich aber noch, Deine liebe Frau und Kinder sowie alle meine Geschwister und deren Familien von mir und meiner Familie zu grüßen und verbleibe mit dem herzlichen- Wunsche, dass es Euch insgesamt recht wohl gehen möge. Einer recht baldigen Antwort entgegensehend Dein Dich aufrichtig liebender Bruder
Franz Huth
Lieber Schwager!
Obgleich mir nicht das Vergnügen vergönnt ist, Sie und die lieben Ihrigen noch sonst einen meiner Schwäger und Schwägerinnen in Sachsen persönlich zu kennen, noch Hoffnung vorhanden ist, uns jemals kennenzulernen, so kann ich doch nicht zugeben, dass dieser leere Raum den Weg nach Sachsen umsonst machen soll und erlaube mir deshalb, denselben auszufüllen. Da Ihnen aber mein Mann schon alles mitgeteilt hat, was Ihnen interessieren kann, so begnüge ich mich, Sie und alle unsere Verwanden daselbst von mir aus vielmals herzlich zu grüßen. Mein Mann gibt die Hoffnung, Ihnen mal einen Besuch zu machen, noch nicht ganz auf, aber da werden wohl noch Jahre vergehen, ehe er diesen Vorsatz wird ausführen können.
Mit Achtung verbleibe ich Ihre ergebenste Schwägerin
E. Huth