Brief vom 24. Januar a. St 1853 - Alt-Nassau
Vielgeliebte Geschwister
Nach langem vergeblichen Hoffen und Harren auf Antwort von Euch auf meinen letzten Brief kann ich meine Ungeduld nicht länger bemeistern, sondern ergreife die Feder, um mich nach der Ursache des langen Zögerns zu erkundigen. Euern letzten Brief vom 27. Juli 1851, sowie die Einlage von Kaffenberger, erhielt ich am 16. August a. St. (Anmerkung: das heißt "alten Stils" und kennzeichnet die unterschiedlichen Daten in Russland und Deutschland), und ich schrieb Euch darauf, (Monat und Datum ist mir der Lange der Zeit wegen schon vergessen) und legte einen Brief an Kaffenberger und ein Blatt an Otto Göbel bei, aber bis jetzt erhielt ich keine Antwort, was mir umso unbegreiflicher ist, weil ich langes Warten von Euch gar nicht gewohnt bin. Ich habe mir deshalb schon alle nur möglichen Vorstellungen gemacht. Anfangs glaubte ich, Kaffenberger würde der Überbringer eines Briefes sein, dann dachte ich aber auch, es könnte einer unserer Briefe verloren gegangen sein, oder es ist bei Euch irgendetwas passiert, weshalb Ihr mir noch flicht geschrieben hättet, u. dgl. m. Am 14. Juni v. J. erhielt ich einen Brief von Bernhard (folgen zwei nicht identifizierbare Zeichen) vom 31. Mai aus Gemünden am Main. Derselbe schilderte mir seine Lage und bat mich um schleunige Antwort, da ich aber täglich auf ein Schreiben von Euch wartete, so ließ ich den Brief unbeantwortet, in der Absicht, gleichzeitig an Euch mit zu schreiben, aber wegen Eurem Schweigen, verblieb es bis jetzt.
Ich muss Euch nun gleich etwas von mir und meiner Familie mittheilen, am 1. September wurden wir wieder mit einem Sohn gesegnet, (Namens Otto) es ist der 2te Junge, das 4. Kind, und jetzt schon ein tüchtiger Kerl; ich und meine Familie befinden uns jetzt gottlob recht wohl; das 1852. Jahr war ein überaus gesegnetes, es wurde in hiesiger Gegend bei weitem nicht alles Getreide vom Felde nach Hause gebracht, ein Tagelöhner verdiente in der Emde fast ebenso viel als ein Goldgräber in Kalifornien, ein Mäher nämlich 1,5 bis 2 Preußische Thaler täglich und ein Mädchen zum Nachrechen oder Binden 1 Thaler und darüber. Infolgedessen wurde hier auch alles etwas teurer, und ich war auch willens, mein Schulfach aufzugeben um meine Profession wieder zu betreiben. Die hiesige Gemeinde legte mir aber aufs Neue wieder 50 Rubel an Gehalt zu, und so bleib ich wieder.
Seit dem Sommer grassiert in hiesiger Gegend die Rinderpest, und russischen Dörfern ist fast alles Rindvieh gefallen; hier ging es, der 3te Teil Vieh blieb hier am Leben. Ich war besonders glücklich, meine 3 Kühe (unleserlich danach) durch und nur eine Kalbe krepierte. In manchen Kolonien blieben 10, 5, auch nur 3 von 100 leben, bei den Russen bleibt mehr, die haben einheimisches hartes Vieh. Die aus Deutschland bezogenen Rassen sind feiner und fallen leichter. Bis zum 4. Januar a. St. hatten wir hier (fast wie in Deutschland und anderen Ländern) sehr gelinde Witterung, seit dem aber haben wir bis 10 Grad Kälte gehabt, aber noch keinen Schnee.
Lieben Brüder Carl und Louis, der Bernhard eröffnete mir in seinem Schreiben, seinen Entschluss hier her zu kommen und bat mich um Reisegeld dazu, was mich sehr wunderte, nicht dass er Reisegeld braucht, sondern dass er sich darum an mich wendete. Die Ursache sei welche es will, nur nehmt meinen Rath, wir wollen die Sache gemeinschaftlich betreiben und unsern Bruder wo möglich zu einem guten Fortkommen verhelfen, steuert Ihr gemeinschaftlich so viel zusammen, dass er hier her reisen kann und ich werde hier für sein Fortkommen sorgen, verpflichte mich auch nötigen Falls dafür zu sorgen, dass er Euch später Euer Geld von hier aus wieder zuschickt, denn ich habe hier für ihn Aussichten, wo er sein gutes Fortkommen haben wird. Sollte dieser mein Vorschlag bei Euch Anklang finden (was ich nicht bezweifele), so würde ich mich ungemein freuen, der Bernhard in meiner Nähe würde mir einigen Ersatz für die Abgeschiedenheit von Euch und der lieben Heimat sein. Wenn Ihr diesen Brief erhaltet, so habt die Güte und schickt dem Bernhard den beiliegenden Brief baldmöglichst zu, und benachrichtigt ihn gleichzeitig von Eurem Entschluss, ob er sich an Euch wenden kann oder nicht, (in Bezug des eben erwähnten,) ich bitte Euch aber recht herzlich, mir in dieser Sache, mögt Ihr sie aufnehmen wie ihr wollt, nichts übelzunehmen, schreibt mir doch auch ja recht bald und recht viel, besonders was alle Geschwister, als die Emma, Rieke, Agnes und Robert, von welchen ich immer nur wenig erfahre, machen, wie viel Kinder Ihr alle habt und wie alt die ältesten schon sind, der Carl redet 1851 schon von seinen Jungen nach Randerothshausen gehen, das scheint mir unmöglich, meine Abwesenheit von Euch scheint mir überhaupt nur wie ein Traum, wenn ich aber meine Kinder, wovon der älteste schon 7 Jahre alt ist, ansehe, dann finde ich mich in die Wirklichkeit versetzt.
Grüßt mir alle Verwanden, Bekannte und Freunde recht herzlich besonders Karl Schmidt, Ollo Göbel, Onkel Huth in Roßla, Albert Heinerke und s. w. Schreibt mir auch, warum Pößneck hat auf der Weltausstellung in London eine Preismedaille bekommen und für was? Euch von mir und meiner Familie noch vielmals grüßend verbleibt mit dem herzlichen Wunsch, dass es Euch alle recht wohl gehen möge Euer Euch aufrichtig liebender Bruder und Schwager
F. Huth.
Zusatz am Rand: schreibt doch ja recht bald, ich meine immer, es ist etwas vorgefallen.
PS. die gesottenen Fische munden vortrefflich, und wir gedenken Euer stets mit dem Wunsche, dass Ihr unsere Gäste sein möchtet.
Über beiliegenden Brief macht ein Couvert und schickt ihn bald an Bernhard.