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Brief vom 10./22. May 1861 - Durlach

Lieber Bruder Karl!
Kaum waren einige Wochen verflossen, dass ich Deinen Brief vom 6. Januar erhalten hatte, als ich wieder einen bekommen und nach flüchtiger Besichtigung der Adresse ihn von Deiner Hand geschrieben fand. Ich war nicht wenig erschrocken und glaubte, es müsste etwas außerordentliches vorgefallen sein, nach Eröffnung desselben fand sich's aber, dass er von Schwager Wagner war, der Lust hat, hierher zu kommen, ich habe ihm nun im beiliegenden Briefe die hiesigen Verhältnisse auseinandergesetzt, er soll nun selbst entscheiden, ob ziehen oder bleiben. Den Brief an Wagner schrieb ich schon am Karfreitag. Da ich aber auch gleichzeitig einige Zeilen an Dich mitschicken wollte, aber gleich nach Ostern einige Reisen unternehmen musste, die einige Wochen in Anspruch nahmen, so wurde es mir heut erst möglich, an Dich zu schreiben, und Wagners wird die Zeit lang geworden sein, sei doch so gut und mach ein Kuvert um besagten Brief und übersende ihn unverzüglich an Ort und Stelle.
Dass meine Familie wieder einen Zuwachs von einer Tochter erhalten, so meine übrigen Umstände und Verhältnisse wirst Du aus beifolgendem Briefe ersehen, ebenso dass wir einen rasend strengen Winter gehabt und ein sehr raues und kaltes Frühjahr haben, dabei sehr viel Regen, die Witterung mag hier von unberechenbaren Werte sein, in hiesiger Gegend hatten sich nämlich vorigen Sommer nach der Ernte unzählige Schwarme Heuschrecken niedergelassen und die Eier in die Erde gelegt. Die Winterkalte war nicht vermögend, die Eier zu vernichten. Aber diese nasskalte Witterung wird die Brut beim auskriechen verderben.
Wenn Wagners hierher kommen, so schick mir einen hübschen Pfeifenkopf zum Andenken mit, den Gehrhard bitte um eine Handvoll roten Kleesamen und etwas weißen Rübensamen, letzteren hat vielleicht der Louis und schicke mir mit. Hier hat man weder Stoppelrüben noch roten Klee. Ich möchte doch einmal einen Versuch machen, ob diese Gewächse hier gedeihen.
Meine Ansichten über Wagners Herziehen habe ich in dem Brief an ihn ausgedrückt, Brod findet er hier, hingegen muss er aber auch manches entbehren, was ihm die Heimat bietet, hat er dort mit Nahrungssorgen zu kämpfen, wird er wohl tun, hierher zu kommen, hat er hingegen dort ein mäßiges Auskommen, wird er ebenso gut tun, dort zu bleiben, ich meinesteils würde es gerne sehen, wenn er kommen würde, aber aus meinen Interessen kann ich ihm nicht zum Reisen raten, wenn es ihm später nicht nach Wunsche gehen sollte, würde ich nur Vorwürfe ernten.
Wenn ich wieder schreibe, werde ich auch extra an Louis schreiben, zuvor aber musst Du mich mit seinem jetzigen Titel bekanntmachen, damit ich Ihn in seiner Würde nicht beleidige. Auch dem Bernhard seine Adresse schick mir, damit ich auch einmal an ihn schreiben kann.
Nun muss ich aber schließen und Dich zuvor aber noch bitten, alle Geschwister und Schwager, den in Zeulenroda nicht zu vergessen, sowie alle Verwandte, Bekannten und gute Freunde vielmals von mir zu grüßen. Und mit dem Wunsche und der Hoffnung, dass Gott uns insgesamt gesund und wohl erhalten möchte, damit wir uns auf dieser Erde doch noch einmal wiedersehen möchten, verbleibe ich unter vielen Grüßen von mir und meiner Familie an Dich und die Deinigen Dein Dich liebender
Bruder Franz Huth