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Brief vom 28. Februar/12. März 1854 - Alt-Nassau

Vielgeliebte Geschwister, Schwager und Verwandte!
Deinen Brief, lieber Bruder Carl d. d. 10. April 1853, erhielt ich am 8.120. Mai v. J. und ersah daraus, dass es Euch so ziemlich allen wohlgehet, den ganzen Sommer und Herbst hindurch hoffte ich, der Bernhard würde mich hier überraschen, aber vergeblich; und vorläufig werde ich auch wohl diese Hoffnung ganz aufgeben müssen; viel Sorgen habt ihr mir schon gemacht wegen der bei Euch in Deutschland immer mehr überhand nehmenden Teuerung; während man hier im Überfluss lebt, mangelt bei Euch das liebe Brot, und in Folge dessen werden vielleicht auch in Euren Familien (Wort unleserlich) , Einschränkungen eingetreten sein. Hier ist alles in Überfluss, die vorjährige Ernte war wieder eine ausgezeichnete, in Folge dessen die Taglöhner in der Ernte einen bis eineinhalb Rubel Silber (1 Fl. 40 Kr. bis 2 1/2 Fl.) täglich verdienten, aber auch alle Handwerker schlugen auf, und ich benutzte diese Zeit ebenfalls und habe tüchtig seilerirt, gegenwärtig habe ich noch 60 P.(?) Hanf erster Sorte liegen, den ich mit Gottes Hilfe diesen kommenden Sommer verarbeiten will, bis Ende Matz hört die Schule auf und dann soll es frisch an die Arbeit gehen. in Folge der starken Weizenausfuhr stieg das Tschetwert hier in den Kolonien auf 5 Rubel bis 5 Rubel 15 Kopeken Silber, in Berdjansk, der Hafenstadt des Asowschen Meeres, 100 Werst von hier, 6 Rubel Silber und darüber; das Tschetwert Roggen kostete im Sommer 1 1/2 Rub., jetzt 2 Rub. Silber. Dieser hohe Weizenpreis brachte viel Geld in die Kolonien.
Auch Ihr werdet wegen den kriegerischen Verhältnissen nicht ganz außer Sorgen um mich gewesen sein, zu Eurer Beruhigung habe ich auch schon lange schreiben wollen, allein im Herbst hatte ich im Dienst so viel zu schreiben, dass ich froh war, wenn ich davon loskommen konnte, und nach Weihnachten, wo ich meine Schreiberei beendigt hatte, benutzte ich meine Mußestunden um Zerstreuung auf der Jagd zu suchen, und so riss der alte Schlendrian bei mir ein, aber jetzt lässt mir das Gewissen keine Ruhe mehr, und ich benachrichtige Euch, dass man hier trotz allem Krieg und Kriegsgeschrei und trotz allen Rüstungen, die die Feinde Russlands betreiben, ganz ohne Sorgen lebt, obgleich wir nicht weit von der Grenze wohnen, denn Sewastopol, die Festung am Schwarzen Meere in der Krim, ist nur 350 Werst, Odessa 500 Werst von hier. Einquartierungen haben hier die Kolonisten noch nicht gehabt, auch sind durch die hiesigen Kolonien noch keine Durchmärsche gewesen, aber im Kurzen werden 18.000 Mann auf dem Durchmarsch erwartet, alles beeifert sich, die russischen Truppen aufs Beste zu quartieren und zu bewirten und denselben den Marsch zu erleichtern, wozu mit der größten Bereitwilligkeit von Seiten der Kolonisten die nötigen Fuhren zur Weiterbeförderung gestellt werden. Ein unbeschreiblicher Patriotismus beseelt alle hier in Russland lebenden Völker und alle würden bereitwillig auch die größten Opfer dem Vaterlande darbringen, wenn es von der Regierung verlangt oder angenommen würde; die Hl. Engländer und Franzosen würden wohltun, von Russland wegzubleiben, wenn sie nichts auf die Mütze haben wollen, denn Russland stehen alle Mittel zu Gebote, einen Krieg mit Kraft und Energie zu führen.
Nun noch etwas in Betreff meiner Familie: Wir sind jetzt Gott sei Dank alle gesund, im vergangenen Herbst hatten meine beiden Mädchen das Scharlachfieber, und waren sehr krank, und vor einigen Wochen bekam der jüngste Junge, Otto, das Zahnfieber und in Folge dessen Krampfe (bei Euch glaube ich Fräsel genannt). Wir glaubten nicht, dass er durchkommen würde, ist aber jetzt auch wieder gesund, mit mir geht es jetzt auch so ziemlich, diesen Winter hatte ich mir eine Erkältung zugezogen und war einige Tage krank. Wir haben hier einen Winter, wie noch keiner war. Zwar ist keine übermäßige Kalte, aber vom Herbst her eine ununterbrochene Schlittenbahn und viel Schnee. Die Hasen sind hier in diesem Winter in so großen Mengen, dass sie zur Landplage geworden sind, und in den Garten und Waldanpflanzungen einen ungeheuren Schaden durch das Abnagen der Bäume angerichtet haben.
Wenn ich wieder schreibe, werde ich auch eine Marschroute schicken, vorher wird doch keiner Gebrauch davon machen. Die Dorfzeitung habe ich noch nicht verschrieben, werde es auch bis nächstes Jahr anstehen lassen, für dieses Jahr habe ich wieder den „Zuschauer“ aus Riga, kostet aber 10 Rubel Silber.
Hört Ihr nichts mehr von Kaffenberger? Der ist wohl schon längst nach Amerika gesegelt. Meinen Ansichten nach wäre es für Professionisten und Tagelöhner besser, sich hierher statt nach Amerika zu machen, wenigstens wäre nicht so viel riskiert, auch kann man hier wohnen, ohne sein Heimatrecht aufzugeben.
Wo ist jetzt der Bernhard und warum ist er nicht hierhergekommen? Wenn ich früher gewusst hätte, dass die Agnes Lust hatte, hierher zu kommen, so hätte ich ihr früher mehrmals von Danzig aus Gelegenheit bis her verschaffen können, jetzt tut’s mir sehr leid, dass ich ihre Gesinnung nicht früher wusste. Schreibt mir doch, wo der Bernhard jetzt ist, so wie auch, wie sich alle Geschwister, Verwende sich befinden. Führst Du, lieber Carl, keinen Briefwechsel mit dem Onkel Huth in Roßla? Was und wo ist Vogels, meines Lehrmeisters Sohn, wenn er Seiler ist, schick ihn her zu mir, überhaupt, wenn dort ein ordentlicher Seilergeselle ist, der kann hierher kommen, ich führe ihm Arbeit und einen guten Lohn zu, er kann sich hier so viel verdienen, dass er später sich hier selbst etablieren kann, zwar habe ich wieder als Schullehrer Kontrakt gemacht, aber den Sommer habe ich frei und im Winter könnt ich auch recht gut einen Gesellen brauchen. Ich habe dieses Jahr wieder eine Zutage von 5 Tschetwert Gerste erhalten, ich bekomme jetzt 100 Rubel Silber, 20 Tschetwert Getreide (40 Scheffel), Wohnung, Heu, Brennmaterial, Garten, Kartoffelland und mehreres Andere.
Jetzt muss ich aber schließen, lebt alle recht wohl und behaltet im guten Andenken Euren Euch liebenden
Franz Huth
Vergesst nicht recht bald und viel zu schreiben.
Alle Verwandten und Freunde bitte ich herzlich zu grüßen, sowie Euch auch meine Frau und Kinder vielmals grüßen.